Mittwoch, 14. August 2013

Außergewöhnliche Umstände

Art. 5 Abs. 5 der VO (EG) 261/2004 besagt: 'Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmenergriffen worden wären.' 

Mit 'außergewöhnlichen Umständen' ist im Volksmund 'höhere Gewalt' gemeint, also eine Sachlage, die von dritter Seite bzw. von außen einwirkt und auf die die Vertragsparteien, nämlich das Luftfahrunternehmen und der Fluggast, keinen Einfluß haben und diese bei Vertragsabschluß auch nicht hätten voraussehen können. In diesen Fällen haben die Passagiere keinen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung (250,-/400,-/600,- €). 

Häufig werden Passagiere, die ihren Anspruch bei der Airline geltend machen wollen, mit Allgemeinfloskeln nur so triefenden Serienbriefen 'abgebügelt', in welchen die Airline ihren Passagieren -meist zu Unrecht (!)-'außergewöhnliche Umstände' einzureden versucht. 

Beispiele für so eine Situation sind die Sperrung des Luftraums wegen einer Vulkan-Aschewolke, die Verspätung eines Flugzeuges wegen einer unmittelbar vorangegangen Notlandung, um einen plötzlich lebensbedrohlich erkrankten Passagier die Zuführung in ein Krankenhaus zu ermöglichen oder die vorübergehende Sperrung eines Flughafens wegen einer Bombendrohung. 

Wer ist in der Nachweispflich für 'außergewöhnliche Umstände'? - Im Zivilrecht gibt es den Grundsatz: 'Wer etwas behauptet, der muß es auch beweisen.' Das heißt, wenn sich die Airline auf außergewöhnliche Umstände beruft und somit von der Zahlung einer Ausgleichsleistung befreien möchte, dann muß sie dies auch glaubhaft darlegen.

Immer wieder berufen sich Airlines auf 'technische Defekte' um so gegenüber dem Passagier einen vermeintlichen 'außergewöhnlichen Umstand' zu begründen. - 'Technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, begründen für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung befreien können, die nach Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung zu leisten. Dies gilt auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt hat. Als außergewöhnlicher Umstand kann ein technisches Problem nach der Rechtsprechung des Europäischens Gerichtshofs (Rs. C 549/07 – Wallentin-Hermann gegen Alitalia, RRa 2009, 35) nur dann angesehen werden, wenn es seine Ursache in einem der in Erwägungsgrund 14 der Verordnung genannten Umstände hat, beispielsweise auf versteckten Fabrikationsfehlern, Sabotageakten oder terroristischen Angriffen beruht' (BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 - X ZR 71/10).

Ganz gleich ob geplatzte Reifen (AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 31.05.2011, Az.:  20 C 84/11) oder eine defekte Benzinpumpe (AG Frankfurt/M. Urt. v. 27.6.2013, Az. 30 C 1055/13 – 25) - es gibt heute kaum mehr ein Flugzeugteil über welches nicht schon vor Gericht gestritten wurde und stets wurde zu Gunsten der Fluggäste entschieden.

Auch das Wetter wird immer wieder von der Fluggesellschaften als 'außergewöhnlicher Umstand' ins Feld geführt. - Wetterbedingungen sind als außergewöhnliche Umstände nur dann anzusehen, wenn alle Luftfahrtunternehmen davon gleichermaßen betroffen sind. Außergewöhnlich waren demnach die Flugverbote aufgrund des Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull in Island im Jahr 2010. Auch sind Pilotenentscheidungen, aufgrund der Wetterverhältnisse einen Start nicht durchzuführen oder einen Ausweichflughafen anzufliegen, von Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar. Ist jedoch nur das betroffene Flugzeug mit für die Wetterbedingungen unzureichenden Instrumenten ausgestattet, kann sich die Fluggesellschaft nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen.

Und was ist, wenn nur ein Teil der von einem Flughafen abgehenden Flüge aufgrund des Wetters annulliert werden muß (Bsp.: Größere zeitliche Abstände der Starts wegen dichten Nebels oder die Start- und Landebahnen werden im Wechsel vom Eis befreit)? - Auch dann wird dies als 'außergewöhnliche Umstände' gewertet, jedoch müssen alle Fluggesellschaften gleichermaßen betroffen sein!

Bei Streiks oder Arbeitsniedelegungen hat man grundsätzlich keinen Anspruch auf Erhalt einer Ausgleichsleistung (BGH, Urt. v. 21.8.2012 – X ZR 138/11), selbst wenn die Mitarbeiter der eigenen Airline streiken. Dies war früher anders. Damals hat man unterschieden, ob der Streik hätte vermieden werden können oder nicht. Allerdings müssen die Luftfahtunternehmen auch heute im Falle eines Streiks alles dafür tun, um dessen Folgen möglichst gering zu halten.

Eine Liste, was als 'außergewöhnlicher Umstand' von Gerichten in der Vergangenheit bejaht oder verneint wurde, gibt es beim ADAC

Wird jemand wegen nicht vollständiger Reiseunterlagen (z. B.: fehlendes Visum) nicht befördert, dann hat er keinen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung.

Liegt tatsächlich ein 'außergewöhnlicher Umstand vor, dann ist das Luftfahrtunternehmen weiterhin verpflichtet, die in Art. 9 festgelegten Betreuungsleistungen (Mahlzeiten, Getränke, ggf. Hotelunterbringung, Ersatz zweier Telefonate) zu erbringen. Das hat der EuGH mit Urteil vom 10.1.2006, Rs. C-344/04 – IATA /ELFAA (NJW 2006, 351) entschieden. 

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2 Kommentare:

  1. Sehr interessant und verständlich dargelegt. Wie sähe es indessen aus, wenn ein Gerät des Flughafenbetreibers - so z.B. das Push-Back Fahrzeug - eine Beschädigung am Flugzeug verursacht, so dass dieses aus dem Betrieb gezogen werden muss?

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  2. Klaus Schlesinger klausschlesinger-at-web.de16. Januar 2014 um 07:24

    Sehr geehrter Herr Decken,
    dieser Blog soll kein Forum zur Diskussion fiktiver oder konkreter Rechtsfälle sein. Dazu würde sich besser eignen: http://www.juraforum.de/forum/reiserecht/
    Dennoch habe ich Ihnen ausnahmsweise mal ein auf Ihre Frage entsprechendes Urteil recherchiert: http://www.transport.und-recht.info/printable/urteile/2010/ag-frankfurt-a-m-urt-v-03022010---29-c-2088/index.html

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