Samstag, 29. März 2014

Gilt die EU-Fluggastrechteverordnung auch in der Schweiz?

Die Frage in der Überschrift dieses Blogartikels:  'Gilt die EU-Fluggastrechteverordnung auch in der Schweiz?' muß man mit einem klaren 'Jein' beantworten!

Die Schweiz gehört nicht der EU an. Insofern gilt die VO (EG) 261/2004 dort nicht direkt. 

Aber:

Bevor ich die Schweizer Flughäfen (Zürich, Genf, Bern, St. Gallen, Lugano, La Blecherette, St. Gallen, St. Moritz), die natürlich alle auf Schweizer Staatsgebiet liegen, untersuche, wende ich mich dem Flughafen Basel zu.

Es handelt sich um den Zielflughafen Basel-Mulhouse (BSL). Dieser liegt auf französischem Staatsgebiet und wird von einem Schweizerischen-Französischem Konsortioum betrieben. Da er sich auf Französischem Staatsgebiet befindet, gilt natürlich dort die EU-Fluggastrechteverordnung.

Gem. Artikel 6 SCHWEIZERISCH-FRANZÖSISCHER STAATSVERTRAG über den Bau und den Betrieb des Flughafens Basel-Mulhouse vom 04. Juli 1949 gilt: 'Für das ganze Gebiet des Flughafens gilt das französischen Gesetz und Verordnungsrecht, ...' wozu letztendlich auch die von Frankreich mitunterzeichnete europäische 'Fluggastrechteverordnung' (VO (EG) 261/2004) zählt.

Und selbst ein Schweizer Gerichtentscheid bestätigt diese tatsächliche Rechtslage: 'Der Flughafen Basel (Basel-Mulhouse-Freiburg) befindet sich auf französischem Boden. Für Rechtsstreite aus der EU-Fluggastrechte-Verordnung, welche Leistungsstörungen von Flügen auf dem Flughafen Basel betreffen, sind daher nicht die schweizer, sondern die französischen Gerichte örtlich zuständig' (ZG Basel, Entscheid vom 20.06.2011, Az. V.2011.35).

In einem Antwortschreiben auf die Forderung nach einer Ausgleichzahlung teilt die TUIfly einem Kunden mit, daß sie seinen Anspruch ablehnen müsse: Begründung: 'Der Zielflughafen Basel (BSL) gehört nicht der EU an.' - Dass diese Rechtsauffassung der TUIfly nach dem zuvor Gesagten falsch ist, erkennt sogar ein rechtlich nicht versierter Laie.

Nun zu den anderen Schweizer Flughäfen:

'Seit dem 1. Dezember 2006 gilt in der Schweiz die EU-Verordnung (EG 261/2004), welche die Ansprüche der Passagiere bei Nichtbeförderung, Annullierung oder grosser Verspätung eines Fluges regelt.' Quelle: Bundesamt für Zivilluftfahrt der Schweiz (BAZL)
Dieser Regelgung soll gem. dem Bundesamt für Zivilluftfahrt der Schweiz (BAZL) gelten für:
'-für sämtliche Abflüge ab einem Flughafen der Schweiz oder der Europäischen Union (EU); -für Abflüge von einem Flughafen ausserhalb der Schweiz oder der EU, wenn das Ziel ein Flughafen der EU oder der Schweiz ist und der Flug mit einer Schweizer oder EU-Fluggesellschaft durchgeführt wird.'

So weit so gut. Aber:

Die Schweiz schloß mit der EU ein zwischenstaatliches Abkommen, in welchem sie die EU-Fluggastrechteverordnung und die bis zum 01.12.2006 dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH anerkennt und übernimmt. Die Problematik hierbei: Die Schweiz hat dieses bilaterale Abkommen nicht in nationales Recht (Gesetz) umgesetzt. Die Frage ist nun: Kann ein zwischenstaatliches Abkommen die Rechte der Bürger in der Schweiz regeln oder nicht?

'Wenn sich Flüge stark verspäten, überbucht sind oder annulliert werden, haben Passagiere bis zu 600 Euro zugut. So steht es in der EU-Verordnung über die Fluggastrechte, welche die Schweiz im Rahmen des Luftverkehrsabkommens übernommen hat. Doch viele Airlines wehren sich vehement gegen solche Entschädigungen – unter ihnen auch die Fluggesellschaft Swiss. Sie stellt sich etwa auf den Standpunkt, die Verordnung gelte nur für Flüge zwischen der Schweiz und der EU, nicht aber für Flüge in andere Länder.

Der Brasilianer Pires da Costa kann ein Lied davon singen. Er wollte im Juni 2011 mit Swiss von Zürich nach São Paulo fliegen. Der Abflug war für 22.40 Uhr geplant, verspätete sich aber bis 8 Uhr des folgenden Tages. Für die neunstündige Verspätung verlangte da Costa von der Airline, gestützt auf die EU-Verordnung, 600 Euro, doch Swiss verweigerte die Zahlung.

 
Zwar gab das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt der Airline im Mai 2012 recht und wies die Klage des Passagiers ab - Begründung: Die Verordnung sei aufgrund des Abkommens nur auf Flüge anzuwenden, die zwischen der Schweiz und einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder umgekehrt verlaufen, nicht jedoch auf den Flugverkehr zwischen der Schweiz und Drittstaaten. - Das Urteil hat aber einen Makel: Bei seinem Entscheid stützte sich das Gericht nämlich vor allem auf einen Fachartikel der Juristin Regula Dettling-Ott. Die Flugrechtsprofessorin steht seit 2005 als 'Managing Director International Relations and Government Affairs' im Sold von Swiss und kann deshalb nicht als unabhängig gelten. Derzeit leitet Dettling-Ott die EU-Vertretung der Swiss-Muttergesellschaft Lufthansa in Brüssel.' Quelle: Tages-Anzeiger

'Eine Klägerin buchte bei der Swiss International Air Lines AG einen Flug von Frankfurt am Main nach Zürich und einen direkten Anschlussflug von Zürich nach Yaundé in Kamerun mit einem Zwischenstopp in Duala. Der Flug von Frankfurt am Main nach Zürich erfolgte planmäßig. Der Abflug des Anschlussflugs in Zürich verzögerte sich jedoch um sechs Stunden und zehn Minuten. Dieser Flug endete tatsächlich in Duala. Die Klägerin wurde sodann mit dem Bus von Duala nach Yaundé befördert und erreichte dieses Ziel am Abend des Folgetags mit einer Verspätung von mehr als 20 Stunden.

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige Senat des (deutschen) Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 9. April 2013 – X ZR 105/12) hat die Auffassung des Landgerichts zur internationalen Zuständigkeit bestätigt. Er ist dem Landgericht auch darin beigetreten, dass der Klägerin nur dann ein Anspruch zusteht, wenn die Fluggastrechteverordnung auch auf den Flug von Zürich nach Yaundé anwendbar ist. Er hält die Anwendbarkeit der Verordnung auf solche Flüge jedoch für möglich, weil diese nach dem Wortlaut des Luftverkehrsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union seit Dezember 2006 auch für die Schweiz anzuwenden ist.' Quelle: expat-news

Doch wie oben angegeben: 'Ein Schweizer Gericht hatte zuvor schon entschieden, die Verordnung sei aufgrund des Abkommens nur auf Flüge anzuwenden, die zwischen der Schweiz und einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder umgekehrt verlaufen.' Quelle: expat-news

Und so kam es, daß der (deutsche) BGH eine entsprechende Vorlagenfrage an den EuGH richtete, deren Beantwortung noch aussteht.

Fazit: 'Darf die Schweiz einem Großteil der Passagiere die Rechte einfach vorenthalten? - Uniprofessor Thomas Cottier hat eine differenzierte Antwort parat: 'Urteile des Europäischen Gerichtshofs aus der Zeit vor der Übernahme der EU-Verordnung am 1. Dezember 2006 sind für Swiss verbindlich. An spätere Urteile ist Schweiz nur gebunden, wenn der Gemischte Ausschuss Schweiz–EU ihre Übernahme beschliesst.' Das sei bei vielen Urteilen bisher nicht geschehen. Der Professor ergänzt jedoch: 'Das Bundesgericht orientiert sich in der Regel freiwillig an Urteilen des Europäischen Gerichtshofs. Diese Praxis sollten auch die unteren Gerichte befolgen.' Quelle: Tages-Anzeiger 

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2 Kommentare:

  1. Darf ich empfehlen, dass Sie diesen Beitrag ergänzen um die Mitteilung, dass zwei beim EuGH eingereichte Vorabentscheidungsersuchen aus Deutschland wieder zurückgezogen worden sind (Rs. C-259/13 und Rs. C-3/15). Es wäre interessant zu wissen, warum - haben z.B. die Fluggesellschaften gezahlt, um eine Grundsatzentscheidung zu vermeiden?

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  2. Da die Schweiz dem monistischen System folgt, muss das bilaterale Abkommen nicht zuerst in Landesrecht umgesetzt werden um Geltung für die Schweiz zu haben. Das bilaterale Abkommen hat nach Ratifikation somit unmittelbare Gültigkeit.
    Siehe: https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/einhaltung-und-foerderungdesvoelkerrechts/verhaeltnis-voelkerrechtlandesrecht.html

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